Die Prorektorin für Internationales der Universität Bonn, Prof. Dr. Birgit Ulrike Münch, begrüßte die Referentinnen und Gäste der Diskussionsveranstaltung „Bibliotheken, Kinder und Literatur in der Ukraine – im Krieg und im Frieden“ mit den Worten: „Ihre Arbeit bewahrt in Zeiten des Krieges nicht nur die ukrainische Kultur und das kulturelle Leben, sondern bietet auch den Kindern und Jugendlichen des Landes ein Ventil. Kultur und Bildung sind das Gegenmittel gegen Fremdenhass und Krieg, Kultur schafft Dialog, kulturelle Identität darf nicht zerstört werden. Sie tragen einen wichtigen Teil dazu bei, den wichtigsten, nämlich den kommenden Generationen, diese Identität, dieses Erbe, zu sichern.“
Seit Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 sind bereits zahlreiche Bibliotheken, Museen, Archive und Kirchen im ganzen Land gezielt angegriffen, zerstört und ausgeraubt worden. Kulturelle Institutionen arbeiten unter schwersten Bedingungen weiter daran, das Kulturleben aufrechtzuerhalten, das kulturelle Erbe zu schützen und Schutzräume zu schaffen. So auch die Ukrainische Nationalbibliothek für Kinder in Kiew. Diese sammelt und erhält die Kinder- und Jugendliteratur des Landes und stellt sie der Öffentlichkeit zur Verfügung.
Generaldirektorin Alla Gordiienko und Olha Dubova, Leiterin der Abteilung für fremdsprachige Literatur, berichteten dem Publikum von ihrer Arbeit. Vor dem Krieg erreichte die Bibliothek mit ihren Veranstaltungen jährlich rund 45 000 Nutzer und Nutzerinnen, darunter vor allem Kinder. Ein Highlight ist die „Lesewoche für Kinder“, in der berühmte Persönlichkeiten Geschichten vorlesen und erzählen. Das letzte Event fand am 23. Februar 2022 statt, einen Tag vor Kriegsbeginn. Trotz dramatischer erster Tage, war schnell klar: „Wir machen weiter. Wir bleiben stark für unsere Kinder. Über die sozialen Medien konnten wir in Kontakt bleiben und die Arbeit koordinieren“, berichtete Gordiienko. So fand die Lesewoche für Kinder online statt. 20 Autorinnen lasen aus ihren Büchern, teilweise direkt von der Front. Die Aktion erreichte 28 000 Aufrufe.
Die Ukrainische Nationalbibliothek für Kinder selbst wurde zum Schutzraum für Jung und Alt: „Immer wieder mussten Erwachsene und Kinder in den Bombenkeller. Um die Kinder nicht zu traumatisieren, machten wir ein Versteckspiel daraus und nannten den Keller stattdessen ´Unterkunft für Kinder´“, so Gordiienko. Die Kinder vor Ort wurden in die Arbeit integriert, indem sie Talismane bastelten oder Postkarten an die Soldaten schrieben. So fühlten sie sich gebraucht und wurden gleichzeitig abgelenkt.
Anna Tyurina, Co-Verlegerin des Kinder- und Jugendbuchverlags Krokus aus Charkiw, der Kinderbücher ukrainischer und – in Übersetzung – fremdsprachiger Autorinnen und Autoren herausgibt, schilderte von ihren Erfahrungen als nach Deutschland geflohene Ukrainerin und von ihren Bemühungen, den Verlag unter erschwerten Bedingungen am Leben zu erhalten: „Unsere Bestände wurden dank eines Zuschusses des Goethe-Instituts aus dem Lager im Stadtzentrum von Charkiw in einen Vorort verlagert.“ Seit Kriegsbeginn konnten sechs Titel veröffentlicht werden, einer davon im Deutschen Moritz Verlag.
Alle drei Referentinnen berichteten mit großer Leidenschaft und Engagement von ihrer Arbeit. Plötzlich klingelte ein Smartphone – Luftalarm in Kiew. Ein eindrucksvoller Moment, der dem Publikum noch deutlicher machte, wie sehr der Krieg den Alltag der Referentinnen auch fernab ihrer Heimat prägt und nicht auszublenden ist.
Nach dem regen Austausch bedankte sich Dr. Ulrich Meyer-Doerpinghaus, Direktor der Universitäts- und Landesbibliothek vor den Gästen bei den drei Referentinnen: „Ich bin tief beeindruckt von Ihrem Mut und Ihrem Optimismus, wie auch von der Offenheit, mit der Sie uns heute an Ihrer Situation haben anteilnehmen lassen. Wir werden unsere Zusammenarbeit fortsetzen. Zur Verständigung zwischen den europäischen Zivilgesellschaften gehört auch der Brückenschlag zwischen Bibliotheken als wichtige Kultureinrichtungen ihrer jeweiligen Länder.“
Der Austausch wird weitergehen. Nicht nur bei der Kooperationsveranstaltung der RWTH in Aachen am 7. Dezember 2022, sondern auch darüber hinaus, um das Wissen über das ukrainische Kulturleben zu erweitern, zu bewahren und mit allen Mitteln zu unterstützen.